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Thomas Neser

Selbstverteidigung für Blinde und Sehbehinderte - Wie alles begann


Eigentlich begann alles damals mit einer Idee, die am Nürnberger Hauptbahnhof entstand. Ich befand mich an diesem Tag in einem Intercity Express auf dem Weg nach Düsseldorf. Am Bahnsteig in Köln, sah ich eine junge Frau, die offensichtlich sehgeschädigt war und gerade den Zug betrat. Sie trug eine entsprechende Armbinde und hatten einen Stock dabei. Trotz ihres Handicaps hatte sie auf den ersten Blick keine größeren Probleme beim Einsteigen. Der Zug selbst war jedoch heillos überfüllt, und die Frau tat sich schwer einen geeigneten Platz zu finden. Langsam tastete sie sich durch die Gänge. Hilfe? Nein, ihr wurde keine Hilfe angeboten. Stattdessen waren fragende und entsetzte Blicke, gar hilflose Blicke die ersten Reaktionen, die ich beobachten konnte. Ich stand schließlich auf, sprach die junge Dame an und bot ihr meinen Sitzplatz an. Dankend nahm sie diesen an. Eine Art der Nachdenklichkeit, vielleicht auch des Mitleids kam in diesem Moment in mir hoch. Etwas gutes zu tun, um auch diesen Menschen das Gefühl geben zu können,nicht alleine gelassen zu werden, war mein erster Gedanke der mir in den Kopf kam.

Aus diesem Gedanken entstand schlussendlich die Idee und das Konzept dass ich Im Jahr 2011 in Form eines Tageskurses an den Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund herangetragen hatte.

Eines Tages meldete sich schließlich Andreas, ein Sehgeschädigter, bei mir, der über den Bayerischen Blindenbund über das Angebot erfahren hatte. Er zeigte sofort Interesse an einem individuellen Einzeltraining. Ich stimmte zu, und so kam es, dass wir uns Mitte April 2012 bei ihm Zuhause in der beschaulichen Hersbrucker Schweiz zu einer ersten Trainingseinheit trafen.

Die Begrüßung war ungewohnt und überraschend zugleich. Auch wenn ich das mir selbst in diesem Moment nicht so anmerken lies. Es beeindruckte mich. Andreas stand an seiner Wohnungstüre, öffnete mir und bat mich herein. Immerhin bat er doch eigentlich einen fremden Menschen in seine eigenen vier Wände, obwohl er nichts sehen kann? Dennoch lud er mich als Gast in seine Wohnung ein, als wenn wir uns schon ewig kannten. Ich war positiv beeindruckt davon: von seinem Verhalten, seiner Gestik und Art seiner Bewegung, so als wenn es scheinbar keine Hindernisse für ihn geben würde; weder geistig noch körperlich. Es wirkte alles ziemlich harmonisch.

Wir gingen schließlich nach draußen, wo wir auf einer geeigneten Wiese das Training begannen. Ich hatte ja bis dato schon einige Jahre Erfahrungen im Bereich des "blinden Trainings" mit verbundenen Augen gesammelt. Doch nun tatsächlich mit einem Menschen zusammen zu üben, der in Wirklichkeit, wenn überhaupt, lediglich Umrisse und Schatten erkennt, ist eine ganz andere Erfahrung, die man sich so zuvor nur vorstellen kann. Es wäre utopisch zu behaupten, ein Sehgeschädigter könne sich gegen jegliche Art eines Angriffes effektiv verteidigen. Das Ziel für diese Menschen muss es sein, einen Angreifer kontrollieren zu können, festzuhalten, und auf Hilfe zu warten. Dies entsteht ausschließlich durch Körperkontakt, Gefühl für die Bewegung und das Gleichgewicht in Verbindung mit "Chi Sao", den "klebenden Händen". Wird die Kontrolle und das Bewusststein aufgegeben, den anderen "loslassen" zu müssen, besteht die Gefahr eines erneuten Übergriffes und die eigentliche Situation wirkt wie eine endlose Spirale, die von vorne beginnt.

Andreas bietet selbst Kurse in den unterschiedlichsten Bereich, wie Tai Chi, Qi Gong und auch Selbstverteidigung mit dem Blindenstock an. Durch unser gemeinsames Training, kommt man oft zu einer neuen Erkenntnis, die eine Verfeinerung der einzelnen Techniken und ein Anwenden anderer Bewegungsprinzipien möglich macht.

Auch wenn wir beide in einem ähnlichen Bereich Unterricht geben und lehren, geht es in den Kampfkünsten nicht um Konkurrenzveranstaltungen die als Ziel die Gier nach finanziellen Lohn haben. Nein! Es geht um das Miteinander, den gegenseitigen Austausch, gemeinsame Ideen und Projekte und vor allen Dingen darum, in diesem Bereich etwas gutes tun zu dürfen, um anderen Menschen durch dieses - nicht ganz alltägliches Angebot - ein Lächeln schenken zu können.

Am 07.07.2012 fand schließlich der erste Selbstverteidigungs-Tageskurs für Sehbehinderte in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund in Fürth statt. Mit freundlicher Unterstützung von Melanie Forster wurde der angebotene Kurs ein voller Erfolg! Seit dem 07.07.2012 finden nun regelmäßig Schulungen und Kurse für Blinde und Sehbehinderte in Fürth statt.

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